Henry Ford und die Juden: Die Massenproduktion von Hass von Neil Baldwin, Public Affairs. New York, 2001. Taschenbuchausgabe 17. Dezember 2002.
Neil Baldwins Henry Ford und die Juden ('Henry Ford and the Jews') ist ein instruktiver Band. Er dokumentiert Fords bedeutende Rolle in der Verbreitung des Antisemitismus innerhalb der USA und international.
Ernannt zum 'Mann des Jahrtausends' von den Automotive News und 'Geschäftsmann des Jahrhunderts' vom Forbes Magazine, ist Henry Ford auch weiterhin eine amerikanische Ikone, ein Modellfall von Erfindungsgabe, Unternehmensgeist und Erfolg. Die Medien tun sich gegenwärtig darin hervor, die Ford-Familie in den Himmel zu heben, weil sie den Juni 2003 als hundertsten Geburtstag der Gründung der Ford Motor Company feiern, dem weltweit bei weitem größten Industrieunternehmen in Familienbesitz.
Dass die Ford Motor Company die Fernsehproduktion von Schindlers Liste gesponsort hatte: Diese Ironie - um nicht zu sagen Scheinheiligkeit - war es, die Baldwin dazu brachte, diese Geschichte aufzunehmen. Für den Autor machte diese Zusammenarbeit deutlich, in welchem Maße die Bedeutung von Henry Fords Antisemitismus unterdrückt worden war.
Das daraus entstandenen Buch handelt von den Quellen von Fords Ansichten, dem Ausmaß seines Einflusses, der arglistigen Art seiner 'Entschuldigung' an die Juden von 1927, und die lange Verbindung des Autobarons mit bösartigen virulenten Antisemiten. Der Autor versucht zu zeigen, dass Ford nichts bereute und dass er verantwortlich für die Veröffentlichung und Verbreitung einiger der scheußlichsten antisemitischen Traktate des zwanzigsten Jahrhunderts blieb.
Fords Beitrag zum Entstehen eines internationalen Antisemitismus besteht nach Baldwins Buch zunächst in seiner Propagandakampagne von 1920 bis 1922, gefolgt von einer hinterhältigen Förderung antisemitischer Kräfte. Der Autor dokumentiert, wie der Industrielle ein Vermögen für die Veröffentlichung und Verbreitung der Protokolle der Weisen von Zion ausgab, sowie für die Durchführung einer zweijährigen Kampagne antisemitischer Agitation ab dem 20. Mai 1920 im Dearborn Independent, seiner persönlichen Zeitung. Diese Traktate, gesammelt und veröffentlicht unter dem Titel Der internationale Jude, fanden weite Verbreitung und wurden in mehrere anderer Sprachen übersetzt.
[Anmerkung: Die Protokolle der Weisen von Zion waren eine Fälschung, verfasst zwischen 1894 und 1899 von der russischen Geheimpolizei, der Okhrana. Vorgeblich Niederschriften und Unterlagen der Führer des ersten Zionistenkongresses in Basel, war ihr eigentlicher Zweck, die Juden der Auslösung der russischen Revolution von 1905 zu bezichtigen.] |
Diese Initiative hatte beträchtliche Auswirkungen. Henry Ford war zu dieser Zeit einer der erfolgreichsten Geschäftsleute der Welt, mit einem geschätzten Nettobesitz von gut über einer Milliarde Dollar. Er war 1920 der einzige Eigentümer des größten Industriereichs, das je existierte, kontrollierte etwa sechzig Prozent des amerikanischen Automobilmarkts, und erfreute sich gleichzeitig des Rufs als ein Mann des Volkes und Pionier des Fünf-Dollar-Tagelohns. Das Prestige des Automagnaten verlieh dem amerikanischen Antisemitismus Glaubwürdigkeit.
Baldwins Henry Ford und die Juden macht auf Fords Veröffentlichungen als einen wichtigen Einfluss auf junge Anhänger des Nazionalsozialismus in Deutschland aufmerksam.
Fords Einfluss auf Hitler wurde offensichtlich durch eine gerahmte Fotografie des Industriellen, die an Hitles Bürowand hing. Zehntausende Exemplare von Fords antisemitischen Traktaten zirkulierten in Deutschland 1921 bis 1922, gerade als Hitler die Kontrolle über die NSDAP gewann. Mein Kampf enthält Abschnitte, die dem Dearborn Independent entnommen scheinen.
Hitler nennt den Industriellen - den einzigen Amerikaner, der in seiner Biographie erwähnt wird - wenn er [über die Juden] sagt: 'Jedes Jahr werden sie mehr zu den Kontrollmeistern der Produzenten in einem Volk von 120 Millionen: nur ein einziger großer Mann - Ford - behält ihrem Zorn zum Trotz volle Unabhängigkeit' [Anmerkung des Übersetzers: Hier zitiert nach www.w-akten.de/themaderwoche/100-jahre-ford.phtml].
Ford war erfreut, zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag von Hitler eine besondere Ehre zu erhalten, das Großkreuz des Deutschen Adlerordens. Die Ehre wurde Ford am 30. Juli 1938 zuteil; vier Monate nach dem Anschluss und dem Massenterror gegen Wiens Juden, bei einem Geburtstagsessen mit mehr als 1500 prominenten Detroitern. Dies war die höchste Ehre, die das Dritte Reich einem Ausländer erweisen konnte, und der deutsche Konsul reiste persönlich nach Detroit, um das goldene Kreuz mit umgebenden Hakenkreuzen auf Fords Brust zu heften.
In seinem gesamten Leben unterstützte Ford die Weiterverbreitung und das Nachdrucken seiner Angriffe gegen die Juden - wie die von Baldwin zu Tage geförderten Quellen zeigen, trotz seines vorgeblichen Ableugnens.
Fords Beitrag zur Verbreitung des Antisemitismus ging über das gedruckte Wort hinaus. Er arbeitete aktiv an der Pflege einer Gemeinschaft Gleichgesinnter. Zunächst versammelt um den Dearborn Independent, bildeten diese Männer eine bedeutende Kraft in der Entwicklung eines amerikanischen Antisemitismus und schlossen eine große Zahl pro-faschistischer Gestalten ein. Baldwin berichtet im einzelnen, wie Ford eine ganze Reihe scharfer Antisemiten ideologisch und/oder finanziell unterstützte:
Ernest Liebold, Fords zweiter Mann, war zeit seines Lebens ein erbitterter Antisemit. Er erledigte für Ford alle Alltagsgeschäfte von 1911 bis 1927. 'Wie stolz war Liebold auf dieses Projekt (die Serie Der internationale Jude), kaum dass er in entscheidender Weise den Gipfel erklommen hatte... Liebold war Zündkerze in der Judenserie und war antisemitisch in seinen Begriffen wie in dem Willen, die Juden auszurotten', berichtet Baldwin.
Liebold leitete das Henry-Ford-Krankenhaus (das jüdischen Ärzten verschlossen war), die Toledo und Ironton Eisenbahn und den Dearborn Independent; er war weiter verantwortlich für Fords Barkassenbestand, der sich normalerweise auf etwa eine Million Dollar in Summen nach Gutdünken bezifferte.
Dann gab es William J. Cameron, der in das Team des Dearborn Independent gebracht worden war, um die Serie Der internationale Jude zu schreiben. Er ging später weiter und gründete die Angelsächsische Vereinigung von Amerika, eine antisemitische christliche Bewegung.
[Anmerkung: Diese Bewegung glaubte, dass die angelsächsische Rasse in gerader Linie von den zehn verlorenen Stämmen Israels abstamme und das wahre Volk Gottes waren und Großbritannien und die USA das wahre Gelobte Land, auf das die unterlegenen jüdischen Eindringlinge keinen Anspruch hatten.] |
Weiter für einige Zeit auf der Gehaltsliste stand Boris Brasol, ein junger russischer Anhänger des Zaren, eine führende Gestalt der Schwarzen Hundert. Sein erster Beitrag für den Independent war Die Bolschewikische Gefahr für Russland, veröffentlicht im April 1919. Er war es, der die Protokolle ins Englische übersetzte und Ford auf sie aufmerksam machte. 1918 arbeitete er als Detektiv für die Militärintelligenz der USA und wurde in den Dreißiger Jahren ein nationalsozialistischer Agent.
[Anmerkung: Die Schwarzen Hundert waren reaktionäre antisemitische Gruppen, die in Russland während der Revolution von 1905 gebildet wurden. Unterstützt vom Zarenregime, bestanden sie größtenteils aus Grundbesitzern, Polizei, Klerus und reichen Bauern; sie führten Überfälle gegen Revolutionäre und Pogrome gegen Juden durch.] |
Führende Nazi-freundliche Amerikaner der Dreißiger Jahre, Father Coughlin und Gerald K. Smith, waren ebenfalls Mitstreiter, und es wird allgemein davon ausgegangen, dass sie von Ford finanzielle Unterstützung erhielten. Charles Lindbergh und seine Familie waren enge Freunde.
Aber neben der Veröffentlichung dieser Fakten stellt Baldwins Band die wesentlichere biographische und historische Frage: Warum wurde Henry Ford ein derartiger Antisemit? Welche sozialen Kräfte waren da am Werk?
Die Antworten sind nicht so offensichtlich. Wie bei allen sozialen Fragen sind sie vielschichtig; in der Behandlung dieser Frage ist der Autor nur teilweise erfolgreich. Baldwin versucht, die spezifisch amerikanischen Bedingungen zu untersuchen, die Fords Ideologie formten - großenteils, weil er fühlt, dass Albert Lees Buch von 1980, ebenfalls Henry Ford und die Juden betitelt (vergriffen, aber erhältlich) in dieser Hinsicht unangemessen ist.
Baldwin präsentiert ein Lebensbild im ländlichen Mittelwesten um die Jahrhundertwende und behandelt den amerikanischen Antisemitismus und andere Trends im ländlichen Denken. Um aber Fords Empfänglichkeit für diese Vorurteile zu erklären, weist Baldwin auf seine intellektuelle Beschränktheit hin.
Die Darstellung des Autors macht deutlich, dass Ford für einen bestimmten Sozialtypus repräsentativ war. Dieser Mann, der in der amerikanischen Geschichte so bedeutend scheint, ein Ingenieur, der das Fließband erfand und das Industriezeitalter einleitete, dem es mit Genie (und Glück) gelang, eines der größten Vermögen der Geschichte anzuhäufen, war historischer Forschung gegenüber feindlich eingestellt, misstrauisch gegenüber intellektueller Betätigung und geringschätzig gegenüber höherer Bildung (er verbot seinem Sohn den Besuch der höheren Schule).
Ford wurde 1863 in Dearbornville (Michigan) geboren, in Baldwins Worten 'den ländlichen Hinterwäldern des fundamentalistischen Amerika'. Seine Bücherweisheiten scheinen mit dem McGuffey Reader angefangen und geendet zu haben - für fast ein Jahrhundert das dominierende Lesebuch in amerikanischen Schulen. Diese Bände versuchten, in alle Fächer Bibelstudien einfließen zu lassen und behaupteten unverfroren, dass das Protestantische Christentum die einzige wahre Religion in Amerika sei. McGuffey beschreibt die Juden als 'fremd gegenüber den moralischen Ansprüchen des Evangeliums', und das Buch zeichnete sich durch stereotype Portraits von Diamantenhändlern und 'Shylocks' aus. [Anmerkung des Übersetzers: Shylock ist die Figur des jüdischen Händlers aus Shakespeares Kaufmann von Venedig.]
'McGuffeyland' war die Art von Welt, in der ein Junge mit den Händen arbeitete und die Früchte harter Arbeit genoss, weit weg von der Enge städtischer Niedertracht. So sah die lebenslange Orientierung Henry Fords aus. Seine Neuschöpfung einer idyllischen ländlichen Gesellschaft, eine Hommage an das Basteln und Erfinden, steht heute noch als Greenfield Village - ein ironischer Lobgesang an eine Welt, die sein Lebenswerk zerstörte.
[Anmerkung: Greenfield Village ist eine Rekonstruktion von einhundert historischen Gebäuden einschließlich der Geburtshäuser berühmter Erfinder in der Nähe von Fords Familienbesitz in Dearborn, Michigan - eine Touristenattraktion, die jährlich 1,6 Million Besucher anzieht.] |
Baldwin zeigt den antisemitischen Strom innerhalb des Populismus um die Jahrhundertwende und bemerkt, dass Fords Idealisierung des Bauern und seine Übernahme von antisemitischen Ansichten eine bedeutende Zeitströmung darstellten. Beispielsweise veröffentlichte der Central Greenback Club of Detroit 1878, als Ford fünfzehn war, eine Erklärung, dass die Eisenbahnskandale und ökonomische Depression den 'Rothchilds jenseits des Ozeans' zu verdanken seien. Solche Behauptungen waren in der Boulevardpresse jener Tage Gemeinplätze.
Lees Buch Henry Ford und die Juden von 1980 stellt das Thema platter dar: 'Im populistischen Denken finden wir alle Grundlagen von Fords ökonomischem Antisemitismus. Es war ein kindischer Ausgangspunkt, der alle Gelddinge mit dem Judentum verband... In dem populistischen Modell war der Inbegriff des Amerikaners jemand, der mit seinen Händen arbeitete. Sein Gegenspieler war der Mann, der Ideen und Geld manipulierte - der Geldgeber, der auf Kosten, von der Arbeit des 'wahren Amerikaners' lebte'.
Diese Strömung wurde verschlimmert durch die fremdenfeindliche Reaktion auf europäische Masseneinwanderung (die in den Achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen hatte und sich bis in das frühe 20. Jahrhundert erstreckte). Baldwin zitiert einige der damals meistverkauften und meistgelesenen Pamphlete, die nach der Bewahrung der amerikanischen christlichen Identität rufen und nach einem Ende der 'rücksichtslosen Korruption' durch Juden und Einwanderer.
Ein Faktor in Fords Entwicklung, der ihn emfänglich machte für derartige vereinfachende und reaktionäre Sichten, war sein extremer Pragmatismus. Er war ein Mann, der selten las (Bambi war sein absolutes Lieblingsbuch, sagt Lee) und einen abgrundtiefen Hass gegen die städtischen gebildeten Intellektuellen entwickelte.
Er war ein hyperaktiver Manager, ständig auf dem Firmengelände unterwegs - in der Maschinenhalle, im Kraftwerk, im Planungsbüro. Baldwin beobachtet: 'Kollegen lernten schnell, dass man ihn erst zuletzt in seinem Büro suchen sollte, weil für Ford Denken gleich Handeln war.' Fords tiefeingewurzeltes Vorurteil gegen das Denken, gegen Geschichte und Philosophie speisten und ergänzten seinen Hass auf Juden.
In einer vielsagenden Anekdote über die Arbeit am Dearborn Independent zitiert Baldwin Fred Black, ein Mitglied des Herausgeberstabs: 'Eines Morgens konnte Ford überall Hände schütteln, sich hinsetzen und herausplatzen mit einem vagen 'Ich habe eine Idee!'. Die Männer hatten diese dann zu diskutieren und auszubauen, während er sich zurücklehnte und zuhörte. Aber Ford wollte nie längeren Ausführungen über irgendein Thema hören, sei es groß oder klein. Er hörte einer Darstellung oder einem Plan ein paar Minuten zu - eine Viertelstunde wurde als äußerste Grenze angesehen - und traf dann eine Entscheidung auf Grundlage einer vagen Ahnung'.
Fords Antiintellektualismus wurde offenkundig im Verlauf einer Klage, die er gegen den Chicago Tribune führte. Im Verhör vor Gericht 1919 zeigte sich Ford unfähig, die Grundprinzipien der Verfassung oder die Daten der Amerikanischen Unabhängigkeitskämpfe zu nennen und zu sagen, wer Benedict Arnold war [Anmerkung des Übersetzers: Ein amerikanischer General, der als der größte Verräter in der amerikanischen Geschichte gilt]. Er schloss mit der erbosten Behauptung, einer Kurzformel des schlimmsten amerikanischen Pragmatismus: 'Geschichte ist mehr oder weniger Schrott'.
Ergänzend zu den ländlichen Vorurteilen jener Tage und Fords mechanistischem und pragmatischen Zugang zu Sachverhalten weist Baldwin auf Fords antisemitischen Umgang als wichtige Quelle seiner Ansichten hin. Ford umgab sich mit Männern, die tief antisemitisch eingestellt waren, von denen viele diesen Glauben zur Achse ihres Arbeitslebens machten. Aber hier muss man sagen, dass der Einfluss wechselseitig war - Ford verkehrte mit denen, die eine Vorurteile teilten.
Fords bürgerliche Freunde, wie etwa die Firestones, John Burroughs und Thomas Edison, teilten seine Antipathie gegen die Juden. Edison erklärte in einem Schreiben an einen Freund, wie störend es sei, dass Juden ein 'natürliches Talent' dazu hätten, reich zu werden. 'Trotz einiger schrecklicher Beispiele in kaufmännischen Geschäften - sobald sie sich mit Kunst, Musik und Wissenschaft und Literatur beschäftigen, ist der Jude gut. Ich wünschte, sie würden alle aufhören, Geld zu machen.'
Zuletzt betont Baldwin die ökonomischen Faktoren, die Fords Antisemitismus schürten: 'In seiner Verunglimpfung der 'internationalen Bankierjuden - der Rothschilds und Warburgs der Welt - und ihrer Methoden, die Finger im Geldfluss der Nationen zu haben', war Ford auch hier sicher nicht allein unter den amerikanischen Geschäftsmogulen seiner Generation', schreibt Baldwin. Dennoch, so fügt er hinzu, war Ford einzigartig in der Zielstrebigkeit, mit der er seine Ansichten zu verbreitete.
Als der erste Weltkrieg ausbrach, stellte Ford erbost fest, dass seine Geschäfte von dem beeinträchtigt werden könnten, was er für unzuverlässige politische Kräfte hielt. Er begann, die Juden dafür verantwortlich zu machen.
Baldwin schreibt: 'Zwischen 1910 (als er schon in den Vierzigern war und das Modell T bereits auf den Markt gekommen war) und 1918 wandelte sich Henry Ford von einem ignoranten Idealisten in einen verbitterten Antisemiten'. Baldwin schreibt weiter: 'Er fand ein Ziel, das er verantwortlich machen konnte für seine Langeweile, Enttäuschung und das Elend seines mittleren Alters. Er griff nach den Juden und ließ nicht mehr los'. Der Autor fügt hinzu, dass das Barometer von Henry Fords Antipathie gegen die Juden mit dem chronisch ungleichen Auf und Ab seines Automobilgeschäfts stieg und fiel.
In seiner Einschätzung stellt der Autor eine Anzahl objektiver und psychologischer Faktoren zusammen, von denen alle zweifellos zu Fords Ansichten beitrugen. Aber bei der Untersuchung der spezifischen Stellung von Henry Ford in der Geschichte muss man auch bedenken, wie soziale Entwicklungen in dem Bewusstsein eines Mannes in seiner spezifischen sozio-ökonomischen Position gebrochen werden.
Fords Schärfe gegen die Juden mag ihre Ursprünge in der Rückwärtsgewandheit eines amerikanischen Eingeborenendaseins gehabt haben, aber es entwickelte sich ausdrücklich zu einer Waffe im Klassenkampf. Man muss das Datum berücksichtigen: Fords Einstellung änderten sich deutlich zwischen 1910 und 1918. Baldwin gelingt es nicht, den sozialen Kontext seiner Wandlung auszuarbeiten.
1915 erklärte sich Ford zu einem Gegner des ersten Weltkriegs und versprach, 'sich und sein Schicksal dem Kampf gegen den Geist des Militarismus zu widmen.' In diesem Jahr ließ er ein unglückliches 'Friedensschiff' vom Stapel, das ihn eine halbe Million Dollar kostete, in einem Versuch, die öffentliche Meinung gegen den Krieg zu stimulieren. In jedem Fall war sein 'Pazifismus' eine Form des Isolationismus: Amerika sollte sich nicht mit ausländischen Fragen beschäftigen; 'zurück zum Geschäft' war die Hauptsache. Als Ergebnis dieser Expedition kehrte Ford zurück in der Überzeugung, 'deutsch-jüdische Bankiers' seien der Grund des Kriegs.
Unabhängig von seiner politischen Opposition fand Ford einen Weg, sich auf den Krieg einzustellen, profitabel auf militärische Produktion umzustellen und dort ebenfalls Innovationen beizusteuern.
[Anmerkung: Seine deutschen Aktivitäten gingen als Ford-Werke weiter, mehrheitlich im Eigentum von Ford USA. Später unter den Nazis wurden die Ford-Werke im Gegensatz zu anderem amerikanischen Besitz nie von der deutschen Regierung enteignet. Sie stellten weiter LKWs für die deutsche Armee her und, wie verlautet, Turbinen für die V2-Rakete. Inzwischen produzierte Fords Stammwerk in den USA Jeeps, Flugzeugmotoren und Panzer für das amerikanische Militär.] |
Im Gegensatz zum Krieg war die russische Revolution von 1917 und ihre Wirkung auf Arbeiter auf der ganzen Welt nichts, womit sich Ford anfreunden konnte. Es war Sache der Juden, für den Krieg verantwortlich zu sein; ihre (wie Ford es sah) Verantwortung für die Beschlagnahmung von Privatbesitz, die Verstaatlichung von Produktionseigentum und die Unterstützung der revolutionären Bewegung auf der ganzen Welt war etwas ganz anderes.
Fords Antisemitismus wurde ein maßblicher, integraler Bestandteil der Reaktion eines Teils des amerikanischen Bürgertums auf die russische Revolution und auf das Anwachsen der Arbeiterbewegung im eigenen Land und anderswo. Das ist der entscheidende Punkt, den Baldwin verfehlt.
Antisemitismus war für Ford ein Angelpunkt in seinem lebenslangen Kampf gegen die Beeinrächtigungen seines Unternehmensimperiums. Er war vielleicht der sträflichste Aspekt seiner ideologischen und politischen Aktivitäten, aber er war unentwirrbar verflochten mit den Bemühungen des ersten amerikanischen Industriellen um das 'Arbeiterproblem'. Schon früher als Hitler stellte Ford die stereotype Verbindung her zwischen den Juden, der russischen Revolution und der Arbeiterbewegung. Im Independent wurde die Sowjetunion als 'die gegenwärtige jüdische Regierung von Russland' bezeichnet.
'Es gibt mehr Kommunisten in den Vereinigten Staaten als in Sowjetrussland. Ihr Ziel ist dasselbe, und ihr Rassencharakter ist derselbe... Die Bombenmannschaft von kommunistischem Einfluss und Propaganda in den Vereinigten Staaten steckt in den jüdischen Gewerkschaften, die fast ausnahmslos dem bolschewistischen Programm für die jeweilige Industrie und für das Land als Ganzes anhängen' stellten die Protokolle, der Dearborn Independent und Der internationale Jude fest.
So sagt Albert Lee in seinem Buch Henry Ford und die Juden: 'Kommunismus und Gewerkschaftsbewegung waren alle Teil der gleichen Handlung, nach Ansicht von Ford und dann von Hitler. In seiner Autobiographie Mein Leben und Werk sagte Ford: 'Es scheint ein bestimmter Aufwand nötig, um die amerikanische Arbeit bolschewistisch zu beflecken... Arbeiter sind das Werkzeug irgendeines Manipulators geworden, der durch sie sein eigenes Ende sucht.'
Lees Buch, das im Allgemeinen besser trifft als Baldwins, geht dann dazu über, deutlich die Parallelen in der Argumentation in Fords Autobiographie und Mein Kampf aufzuzeigen. Diese Seite von Fords Antisemitismus - ein Rassismus, der sich in einer klassenspezifischen Art äußert - wird von Baldwin erkannt, aber nicht herausgearbeitet. Eins der Hauptziele des Buchs ist die Widerlegung von Fords Versuchen, sich reinzuwaschen - seine 'Entschuldigung' von 1927 - und Ford als den zu zeigen, der er war - und auf dieser Ebene ist der Autor erfolgreich.
Dennoch ist der wichtigste untergründige Strom in Fords Antipathie gegen die Juden seine politische Flugkurve als Proto-Faschist, die sich mit seinen Klasseninteressen darin verbindet, die Arbeiterklasse zu unterdrücken und um jeden Preis ihre unabhängige industrielle und politische Organisation zu verhindern. Als Beispiele liefert Baldwin in dem sarkastisch überschriebenen Kapitel 'Der Freund des Arbeiters' einige sehr sprechende Informationen über Fords berühmte Entscheidung vom 5. Januar 1914, den Arbeitstag auf acht Stunden zu reduzieren und seinen Angestellten fünf Dollar am Tag zu bezahlen. Ford war vom Wall Street Journal dafür kritisiert worden, biblische und geistige Prinzipien in ein Gebiet einzuführen, in das sie nicht gehören, und die Zeitschrift vermutete einen moralischen Plan dahinter.
Darin steckte etwas Wahres. Ford startete gleichzeitig seine infame Soziologische Abteilung, um 'Seele in das Unternehmen zu bringen'. Der Autobaron forderte einen bischöflichen Dekan zum Mitmachen auf - mit den Worten 'Ich brauche dich, Mark, um Jesus Christus in meine Fabrik zu bringen'. - Der Mann war auserwählt, alle Personalangelegenheiten zu überwachen.
[Anmerkung: Ford hatte gute Gründe zur Sorge, denn die neue Fließbandarbeit war selbst ein wesentlicher Anreiz zur Rebellion: Laut Ford bedeutete Massenproduktion 'die Reduzierung der Notwendigkeit des Arbeiters nachzudenken und die Reduzierung seiner Gedanken auf ein Minimum'. Maschinen waren eng angeordnet für optimale Effizienz, und Material wurde dem Arbeiter in Hüfthöhe angeliefert, so dass keine unnötige Bewegung nötig wurde durch Gehen, Greifen, Bücken oder Abknicken. Der Arbeiter musste sich nicht nur dem Schritt der Maschine anpassen, sondern musste auch der unvermeidlichen Langeweile stundenlanger gleichbleibender Bewegungen widerstehen.
Eine viertelstündige Mittagspause einschließlich Zeit für die Toilette war die einzige Unterbrechung der ermüdenden Monotonie der repetitiven Arbeit. Strohmänner und Privatdetektive, ein anderes neues Element in der Belegschaft, verstärkte Bestimmungen und Regeln, die das Anlehnen an die Maschinen verboten sowie das Sitzen, Hocken, Sprechen, Pfeifen oder Rauchen während der Arbeit. Arbeiter lernten, heimlich zu kommunizieren, ohne Lippenbewegungen beim 'Fordflüstern'; sie machten eisige Gesichter, bekannt als 'Gesichts-Fordisationen' (Amerikanische Nationalbiographie Online).] |
Es stellte sich heraus, dass Jesus' Alter Ego für seine Arbeit bei Ford nicht zwölf Aposteln brauchte, sondern eine kleine Armee. Die Soziologische Abteilung begann ihre Arbeit mit einer Belegschaft von über fünfzig Kontrolleuren, wuchs aber innerhalb von zwei Jahren auf 160. Ihre 'Aposteln' befuhren die überfüllten Nebenstraßen von Detroit und Dearborn mit einem Stoß gedruckter Fragebögen.
Ihre Aufgabe war es, Verhaltensstandards in der gesamten Firma einzuführen. Um für einen Fünf-Dollar-Tagessatz in Frage zu kommen, musste der Angestellte eine erschöpfende häusliche Inspektion akzeptieren, zeigen, dass er nüchtern und persönlich sauber war, regelmäßig sparte und nicht aufrührerisch lebte.
[Anmerkung: Das Buch Der Fünfdollartag von Steven Meyer unternimmt einen gründlicheren Ansatz, die frostige Arbeit der sozialen Kontrolle darzustellen, wie sie von Ford versucht wurde. 1917 beschreibt ein Bericht der Soziologischen Abteilung die Arbeit von 52 Kontrolleuren, die 77 Distrikte in ganz Detroit und seinen Vorstädten untersuchen. In jedem Distrikt wohnten durchschnittlich 523 Arbeiter. Jeder Kontrolleur hatte eine Durchschnitspensum von 727 Arbeitern mit 5,35 regelmäßigen Kontrollen jeden Tag, fünf Abwesenheitsnachfragen [original: 'absentee calls'] und fünfzehn Einsätze außerhalb [original: 'outside calls']. Für jede Untersuchung führte Ford einen Bericht mit jeder zugänglichen Informationsquelle - Kirche, Genossenschaften, die Regierung, Familienbibeln, Pässe - alles wurde untersucht. 'Jeder Arbeiter muss Rechenschaft über seinen Anteil am Profit ablegen', so hatte es das Unternehmen geregelt; dazu wollte es wissen, ob der Arbeiter ein Haus kaufte oder nicht, ob er ein Sparkonto besaß, und ob er Schulden hatte. Es verlangte die Kontonummer, den Namen der Bank und den Stand jedes Kontos; bei Schulden musste das Unternehmen den Gläubiger wissen, die Gründe und den Betrag'.] |
Das war ein sehr bewusstes soziales Experiment. Jesus rettete Menschen, so hoffte Ford, vom gewohnheitsmäßigen Spielen und Trinken, das sie unpünktlich bei der Arbeit oder unproduktiv machte. Aber zuallererst war das Christentum ein ideologischer Impfstoff gegen den jüdischen Bolschewismus, gegen Sozialismus und Gewerkschaften. Die faschistische und allmächtige Soziologische Abteilung stellte ein wesentliches Bemühen Fords dar, um Herz, Geist und Körper seiner Arbeiter zu steuern.
Dies war eine Zeit wachsender Militanz und wachsender Organisation der Arbeiterklasse. Die Industrial Workers of the World (IWW) und die Sozialistische Partei waren treibende Kräfte in der amerikanischen Gesellschaft. Eine Antwort der US-Regierung auf die gestärkten Arbeiter- und sozialistischen Bewegungen waren der Spionageakt und der 'Sedition Act', Gesetze, die im großen Rahmen genutzt wurden, um die IWW, die Sozialistische Partei und viele Arbeiter mit abweichender Meinung zu verfolgen. Um diese Repression aufzubauen, bildete die Regierung die American Protective League (APL) als eine halboffizielle Hilfstruppe der Justiz.
Der Apparat bei Ford änderte sich über die Zeit. Das Buch Der Fünf-Dollar-Tag von Steven Meyer bietet grafische Darstellungen der außergewöhnlichen Zusammenarbeit zwischen Ford und der APL, einer Organisation, die auf 1200 Abteilungen mit ungefähr 250.000 Mitgliedern anwuchs, einem riesigen Netzwerk von Spionen und Spitzeln.
Die aktivste Abteilung der APL befand sich in Detroit, wo Detektive in jeder wichtigen Fabrik der Stadt stationiert waren. In den Fordwerken von Highland Park koordinierte und zentralisierte die Soziologische Abteilung das Ford-Netzwerk von etwa einhundert APL-Spionen. Ford-Manager überwachten die APL-Agenten in den Läden und übergaben der APL die gewaltigen 'Aufzeichnungen der Untersuchungen' des Unternehmens, die seit dem Beginn des Fünf-Dollar-Tagessatzes geführt worden waren. Innerhalb eines Jahres nach der russischen Revolution waren über 30.000 Untersuchungen in Detroit durchgeführt worden, mit Weitergabe von Informationen an das Justizministerium, an den militärischen Nachrichtendienst und die örtlichen Behörden.
Jede Bemerkung, die von einem APL-Agenten als unloyal angesehn wurde, führte dazu, dass ein Arbeiter aufgeschrieben wurde. Fords Überwacher und die APL-Detektive übten konstant Druck auf die Angestellten aus, sich an unendlich vielen Stellen anzupassen. Beispielsweise wurde von einzelnen erwartet, öffentliche Schuldverschreibungen zu kaufen und für den YMCA und das rote Kreuz zu spenden. Die Arbeiter, die die Erwartungen nicht erfüllten, wurden als 'unerwünscht' angesehen und/oder als Verräter. Das konnte bis hin zur Entlassung oder Strafverfolgung führen. Derart durchdrang das Maß an Einschüchterung die Geschäfte der Ford Motor Company. Die intensivsten Untersuchungen richteten sich gegen vermutete Mitglieder der IWW oder die, die sich zum Sozialismus bekannten.
1919 war nicht nur das Jahr des Kaufs des Dearborn Independent; es war auch das Jahr, in dem Ford seine Soziologische Abteilung in seine bald notorische 'Serviceabteilung' umwandelte. (Dies war die Organisation, die der ehemalige Boxer und Sicherheitschef Harry Bennett in den Dreißiger Jahren in eine Privatarmee von Gewaltverbrechern und Gangstern umwandelte, um Arbeiter zu terrorisieren und die Bildung von Gewerkschaften zu verhindern.) Fords Serviceabteilung wuchs, um die weltweit größte private Polizeitruppe zu werden.
1924 skizzierte Jonathon Norton Leonard, was es bedeutete, in der Ford-Fabrik zu arbeiten: 'Niemand, der bei Ford arbeitet, ist sicher vor Spionen - vom Superintendenten bis hin zu dem armen Geschöpf, das soundsoviele Toiletten pro Stunde reinigen muss. Es gibt Spione, die Fremdenführern peinliche Fragen stellen, Spione, die ihren Weg in Gewerkschaften finden, Spione, die jede Sprache unter der Sonne sprechen. Das System hört nicht an den Fabriktoren auf. Ein anonymer Brief, der einen Mann bezichtigt, bei Ford Ersatzteile zu stehlen, reicht aus, ihn vor die Serviceabteilung zu bringen - er wird gezwungen, eine Untersuchungserlaubnis zu unterschreiben, die Forddetektiven erlaubt, sein Haus zu plündern und all seine Habseligkeiten umzudrehen in der Hoffnung, dort eine Glühlampe oder eine Generatorarmatur zu finden. Es gibt Spione, um diese wieder zu beobachten' (zitiert in Meyers Der Fünfdollartag).
In Fords Spionberichten von 1919 finden sich detaillierte Beschreibungen einer Detroiter Feier der russischen Revolution, Treffen der Internationalen Vereinigung der Maschinisten, Gewerkschaftstreffen von Automobilarbeitern, Treffen der IWW, eine Versammlung von Rumänischen Bolschewiken und sogar die Modern Brotherhood of America, eine genossenschaftliche Versicherungsorganisation.
Trotzdem wurde die Ford Motor Company 1919 insgesamt sechzehnmal bestreikt, konnte aber gewerkschaftlicher Organisation entgehen - unterstützt durch die berüchtigten 'Palmer-Razzien' und eine landesweite rote Panik.
[Anmerkung des Übersetzers: Original: Palmer Races, Red Scare. - A. M. Palmer war der Justizminister Präsident Wilsons; die durch ihn organisierten Überfälle und die Umstände im ersten Weltkrieg scheinen maßgeblich den Niedergang der IWW herbeigeführt zu haben.] |
Das war der politischen Kontext von Fords Flut antisemitischer Artikel seit 1920. Von Anbeginn setzte er Bolschewismus und Judentum gleich. Fords Einseiter im Dearborn Independent konstatierte: 'Was ist mit dem Schmelztigel? Das Problem liegt nicht... am Tigel, weil er das Grundmetall bildet. Manche Metalle können nicht assimiliert werden, sie widerstehen einer Vermischung mit der Schmelzmasse der Bürgerschaft und bleiben hässliche, unlösliche Klumpen. Wie ist das Grundmetall hineingekommen? ... Was ist mit diesen Fremdkörpern, die uns soviele Probleme bereitet haben, diesen Bolschewisten, die unsere Industrien durcheinanderbringen und unser Zivilleben stören?'
Öl auf die Mühlen der wachsenden Ängste des Bürgertums goss 1920 die Prädidentschaftskandidatur des Sozialisten Eugene V. Debs, der eine Million Stimmen erhielt.
Ein endloser Strom abstoßender Propaganda ergoss sich in die ganzen Welt, dank Fords Vermögen. Zwischen 1920 und 1922 druckte Ford seine Artikel in vier Broschüren und einem umfangreicheren Buch Der internationale Jude nach, das in die meisten europäischen Sprachen übersetzt wurde und weit zirkulierte. Unter anderem wurden Juden angeklagt, die Weltbanken zu kontrollieren, ein rassistisches Programm zur Weltbeherrschung zu entwickeln, den ersten Weltkrieg begonnen zu haben, die Zerstörung der christlichen Zivilisation zu planen und die Landesjugend in Farmvereinen zu verdrehen, indem sie sie in kommunistischen Ideen trainierten.
Als sich im Verlauf von zwei Jahren Verleumdungsklagen und Gegenklagen [original: 'countersuits'] mehrten, begann Ford zu taktieren. Er gab 1927 schließlich eine falsche 'Entschuldigung' an die Juden heraus, hauptsächlich wegen eines Verkaufseinbruchs und der Notwendigkeit, das Modell A ohne eine Skandalwolke über seinem Geschäft herauszubringen. Der Dearborn Independent, ohne jeden anderen Existenzgrund, wurde zum Jahresende eingestellt. Seine Publikationen wurden aber weiterhin in der ganzen Welt veröffentlicht und zirkulieren bis heute.
Fords Leben besaß eine Logik. Er durchlebte eine erschütternde und revolutionäre Zeit großer sozialer, politischer und technischer Veränderungen, und diese Ereignisse gingen auch an ihm nicht vorbei. Baldwins Untersuchung der Natur von Fords Antisemitismus ist wertvoll, aber begrenzt in ihrer Unfähigkeit, die riesigen sozialen Kräfte zu verstehen, die Fords Attacken gegen die Juden antrieben.
Wenn man diese titanischen Bewegungen einmal fortdenkt, erscheint Ford als exzentrischer Einzelgänger, eine Einsiedlergestalt. Obwohl amerikanische Politiker und Körperschaftsführer Fords gewalttätiges und offen antisemitisches Programm in ihrer großen Mehrheit ablehnten, waren seine Ansichten ein Bestandteil der verbitterten Reaktion des amerikanischen und des weltweiten Bürgertums auf den wachsenden Strom des Sozialismus.
Baldwin spielt den Effekt revolutionärer Strömungen auf Ford herunter und konstatiert am Ende stumpf, unhistorisch und selbstzufrieden: 'Antisemitismus wird es de facto in allen Kulturen geben, solange es Juden gibt - aber in Amerika entwickelt er sich zu einer Randerscheinung'.
Im Gegenteil, der Text 'Antisemitismus, Faschismus und der Holocaust', eine kritische Besprechung von Daniel Goldhagens Hitlers willige Vollstrecker stellt die Entwicklung des modernen Antisemitismus in ihren wahren politischen Zusammenhang [Anmerkung des Übersetzers: Ebenfalls eine Buchkritik - das englische Original findet sich unter www.wsws.org/history/1997/apr1997/fascism.shtml; eine deutsche Übersetzung ist nicht bekannt]. Der Autor David North schreibt dort: 'Politischer Antisemitismus war nicht auf Deutschland beschränkt... Antisemitismus wurde von seinen Befürwortern als das effektivste Mittel gesehen, massive Unterstützung nicht nur gegen das wachsende sozialistische Proletariat zu gewinnen, sondern genauso gegen alle Elemente der liberalen Demokratie. Auf Basis des Antisemitismus musste ein neuer landesweiter Konsens geschmiedet werden, um die Klasseneinteilung zu überwinden, die durch den Prozess der kapitalistischen Industrialisierung entstanden war und auf den sich die Anziehungskraft des Sozialismus gründete'.
Antisemitismus hatte einen ganz spezifischen Gehalt seit der Verbreitung des industriellen Kapitalismus im späten 19. Jahrhundert: Er wird gebraucht, um die Arbeiterklasse zu spalten - wie jede Form von Rassismus. Aber darüberhinaus ist er als eine spezifische Waffe ganz gezielt gerichtet gegen die sozialistischen Bestrebungen der Arbeiterklasse. Antisemitismus und Rassismus haben, Seite an Seite mit der jahrhundertealten List der Religion, ein unentbehrliches ideologisches Bollwerk errichtet gegen den wissenschaftlichen Sozialismus.
Wie Leo Trotzki 1938 schrieb: 'Bevor der Kapitalismus die Menschheit auslöscht und in ihrem Blut ertränkt, verschmutzt er die Weltatmosphäre mit den giftigen Dämpfen von National- und Rassenhass. Antisemitismus ist heute eine der heimtückischsten Zuckungen des Kapitalismus in seinem Todeskampf.'