Wie darf ich helfen?

von Barry Clasper

Originaltext: www.lynette.org/howhelp.html oder
www3.sympatico.ca/clasper/mayihelp.htm
Version des Originals: 1996-01-08
Version der Übersetzung: 2007-07-01
Autor der Übersetzung: Martin Ingenhütt
MARTIN_INGENHUETT_AT_EUROPEAN_CALLERS_AND_TEACHERS_ASSOCIATION

[Anmerkung des Übersetzers: Dieser Text 'How May I Help' wurde ursprünglich 1989 im 'Zip Coder Magazine' veröffentlicht.]

 

Helfen oder nicht helfen - das ist hier die Frage.
Obs edler im Gemüt, die Verwirrung andrer zu erdulden
Oder, durch eignen Eingriff, den Square zu retten?

(Sorry, William...)

Es gibt Situationen, in denen wir Hilfe erwarten - Massagesalons mit Selbstbedienung haben sich nicht so recht durchsetzen können... Dann wieder gibt es andere Momente, in denen wir die Dinge lieber selbst in die Hand nehmen: 'Bitte, Papi - das ist meine Eisenbahn!'

Eine der häufigeren Ursachen 'interpersoneller Konflikte' (einer akademische Umschreibung für 'Kämpfe') ist die Fehleinschätzung, wann Hilfe angebracht ist und wann nicht. Dies gilt nirgendwo so sehr wie im Squaredance, besonders in den C-Levels. Auf praktisch keiner Challenge-Tanzveranstaltung muss man lange nach jemand suchen, der beleidigt ist, weil man ihm geholfen hat, oder weil man ihm nicht geholfen hat, oder weil sein Angebot zu helfen abgelehnt wurde. Oft ist diese Situation für die Betroffenen extrem verwirrend. Leute gehen nach Hause, sie treten sogar aus dem Club oder die Tanzgruppe aus wegen etwas, was sie für zuviel oder zuwenig Hilfe halten.

Nachdem ich beträchtliche Zeit damit verbracht habe, zu helfen und mir helfen zu lassen (manchmal auch gleichzeitig), glaube ich jetzt, ein wenig Einsicht gewonnen zu haben, die bei der Lösung diese Problems ein wenig, äh, nunja, weiterhelfen könnte...

Hier nun also meine hilfreichen Hinweise für das hilfreiche Hinweisen:

  1. Hilf aus den richtigen Gründen

    Stell die selbst die Frage: 'Warum bin ich eigentlich so scharf darauf zu helfen?' Ich denke, es gibt auf diese Frage grundsätzlich drei Antworten:

    1. Ich kann so meine Kenntnisse zeigen (mit anderen Worten: angeben).

      Das eine oder andere Mal haben wir alle schon jemanden erzählen gehört, wie durch seine überlegene Tanzfähigkeit und seinen fachkundigen Beistand ein Square aus kompletten Vollidioten (mit der Ausnahme von Duweißtschon) es geschafft hat, den gesamten Tip zu meistern.

      Derartige Squares sind normalerweise ein unvergesslicher Anblick: Sieben fassungslose Leute umgeben von einem Wirbelnden Derwish, der von Position zu Position springt, jeden einzeln richtig zurechtdreht, Anweisungen und Hilfen brüllt und in den unvermeidlichen Perioden des Herumstehens umfangreiche Vorträge anbietet.

      Das ist keine 'Hilfe'. Das ist Selbstbefriedigung auf Kosten sieben Unschuldiger.

    2. Damit der Square weiterläuft.

      Das ist ein besserer Grund als der erste, aber immer noch weit weg vom Ideal. Denn nicht der Square läuft weiter, sondern Menschen laufen weiter. Der Unterschied mag sich klein anhören, aber er spiegelt eine grundsätzliche Haltung: Wenn du dir gestattest, dich auf den Square zu konzentrieren, hast du damit ganz nebenbei die Menschen, die ihn bilden, zu etwas Zweitrangigem gemacht. Dieser Ansatz kann dazu führen, dass die Hilfe unangemessen stark wird - und sich manchmal eher einem Gewaltverbrechen nähert. Sobald der Square zur Hauptsache wird, sind wir bereit, den Einzelnen dieser 'höheren Sache' zu opfern: 'Ist doch egal, ob sich Fritzchen vorkommt wie überfallen - wir haben es zum Allemande Left geschafft, oder?'

      Und das führt uns zum besten Grund, Hilfe anzubieten:

    3. Um jemandem den Weg zu zeigen.

      Oft heißt es, Squaredance sei ein Mannschaftssport. Idealerweise tragen acht Tänzer und ein Caller zu einer ganz bestimmten, gleichzeitig an- und aufregenden Erfahrung bei, die in dieser Form nur durch genau diese neun Leute erreicht werden konnte - in ganz enger Zusammenarbeit und gegenseitigem Verständnis. In dem Maße, in dem Einzelne ihre Rollen nicht sicher und flexibel ausfüllen können, ist diese Erfahrung gefährdet. Egal, wie gut du bist - du kannst nicht den Part von jemand anderem tanzen und immer noch diesen wundervollen Peak bekommen. Es ist einfach nicht das gleiche.

      Daher ist es in unser aller Interesse, den Einzelnen zu helfen, die Schwierigkeiten mit ihrer Aufgabe haben. Aber unser Ziel sollte sein, dass sie verstehen, nicht dass sie 'irgendwie durchkommen'. Jemand, der verwirrt und benommen an der richtigen Position ankommt, wird wahrscheinlich beim nächsten Mal kein bisschen erfolgreicher sein. Es sollte uns wichtig sein, unsere Unterstützung so zu geben, dass der, dem geholfen wird, daraus lernt. So tragen wir zu seiner grundsätzlichen Entwicklung als Tänzer bei, nicht nur zum Gelingen eines einzelnen Tips.

    Die folgenden Punkte sollen herausarbeiten, wie diese zu erreichen ist.

  2. Hilf zur rechten Zeit

    Als ich fliegen lernte, wunderte ich mich über die Fehler, die mein Lehrer zuließ. Ich erinnere mich, dass ich fragte: 'Wollen sie nicht übernehmen?', als das Flugzeug bei der Karikatur eines Landeanflugs wackelte und schwankte. Seine Antwort blieb immer ruhig: 'Sie machen ihre Sache gut. Ein bisschen mehr Gas, die Nase etwas runter'. Erst im allerletzten Moment wollte er die Kontrolle übernehmen, nachdem er mich meinen Weg hatte finden lassen durch so viele kleinere Fehler wie möglich. So etwas garantiert eine intensive Lernerfahrung!

    Wir brauchen ein bisschen mehr davon im Squaredance. Wir alle hatten schon das Erlebnis, dass jemand uns half, manchmal mit viel Aufwand - genau in dem Moment, wo wir gerade Bescheid wussten. Ist das nicht frustrierend? Manche Leute geraten in ihren Helf-Modus, sobald sie zum ersten Mal einen Fehler bei dir sehen, oder nur einen unsicheren Blick. Danach helfen sie dir bei allem und jedem für den Rest des Tips (oder den Rest der Veranstaltung, des Wochenendes, deines Lebens...)

    Es ist wichtig, dass wir den anderen die Möglichkeit geben, es selber zu machen. Hilf nicht - außer:

    1. du bist darum gebeten worden, oder
    2. derjenige ist (sozusagen) eindeutig verwirrt, oder
    3. derjenige hat gerade begonnen, einen unreparierbaren Fehler zu machen


  3. Hilf im richtigen Maß

    Das Grundprinzip bei Hilfe sollte sein 'weniger ist besser, keine ist am besten.' Mit diesem Gedanken im Hinterkopf schlage ich folgende Stufen von Hilfe vor:

    1. Überhaupt keine Hilfe

      Bei weitem die beste Art von Hilfe. Tanz deinen eigenen Part. Sei, wo du sein sollst. Gib den anderen die beste Möglichkeit zum Erkennen von Positionen und Formationen dadurch, dass du in deinem eigenen Tanzen präzise und korrekt bist. Geh keine Abkürzungen, tanz alle Bewegungen vollständig und rhythmisch zur Musik. Beim Tanzen von Abfolgen mit komplexen Formationen vergewissere dich diskret vor dem Losgehen, dass jeder andere die Formation gesehen hat. Hast du dich schon wegbewegt, wird deren Aufgabe um Größenordnungen schwerer.

      Sei fest und bestimmt in deinem Gebrauch von Handhaltungen und Handdruck während der Ausführung von Calls. Ein schwacher Handkontakt in Calls wie etwa Relay the Shadow oder Follow Your Leader [Anmerkung des Übersetzers: Ein Mainstream-Beispiel wäre etwa Pass the Ocean] kann Unsichere 'schmeißen'.

    2. (Diskret) den Weg zeigen

      Eine unauffällige Geste, um die Richtung oder die Zielposition anzuzeigen, ist oft der einzige Hinweis, den jemand braucht, um seinen Part des Calls hinzukriegen. Es gibt keinen Preis für auffälliges Getue oder übertriebenes Affentheater.

    3. Stichworte

      Nur ein Wort oder ein kurzer Satz, zusammen mit einer Geste. Keine Predigt - nur ein Hinweis.

    4. Handdruck

      Ein Stubs oder eine Berührung an Arm oder Schulter, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, oder ein leichter Handdruck, um die Drehrichtung anzuzeigen. Bitte keine stumpfen Waffen..

    5. Handauflegen

      Als allerletztes Mittel: Greif nach einem Arm oder einer Schulter (vorsichtig, immer vorsichtig!) und beweg die Person in die Position - aber nur, wenn das geht, ohne deine eigene richtige Position zu verlassen. Wenn du von deiner Position weggehst, um jemand anders zu helfen, kannst du das Gesamtbild der Formation so ändern, dass wieder jemand anders verwirrt wird. Jetzt hast du das Problem geschaffen!

  4. Spüre, wenn es genug ist

    Man sollte nicht helfen, wenn es nicht absolut notwendig ist, und genauso sollte man auch nicht weitermachen, wenn es nicht mehr notwendig ist. Ein einzelner Fehler erfordert nicht fortwährende Unterstützung für den gesamten Rest des Abends!

    Schwieriger wird es, wenn dich Leute um Hilfe bitten, die eigentlich mehr können als sie sich selber zutrauen. Wenn du über den Punkt hinaus hilfst, wo sie es tatsächlich brauchen, kannst du eine Abhängigkeit entstehen lassen, die sie später behindern wird. Sorg dafür, dass sie alles tanzen, was sie von alleine können, und ermuntere sie soweit wie nötig, um ihr Selbstvertrauen aufzubauen - aber, auch hier, vorsichtig. Ermunterung ist fast so problematisch wie Hilfe (wo geht sie in Druck über?).


Soviel zu den Helfern. Wer sich helfen läßt, braucht aber ebenfalls gewisse Fähigkeiten. Hier mein Handbuch zum Helfenlassen:

  1. Gib zu, wenn du Hilfe brauchst

    Jeder braucht irgendwann einmal Hilfe. Wenn du irritiert oder unsicher bist, bitte darum. Meist stellt sich heraus, dass die Angesprochenen liebend gerne andere unterstützen.

  2. Keine Panik!

    Wie in den meisten angespannten Situationen führt es zu nichts, sofort in Panik zu geraten, wenn der Square seltsam aussieht. Konzentrier dich, analysiere die Formation, mach dir die Definition des Calls klar - zwing dich zu klarem Denken.

  3. Zeig, dass du in Schwierigkeiten bist

    Zwing die anderen im Square nicht zum Gedankenlesen, wenn du Schwierigkeiten mit einem Call hast. Tu oder sag etwas. Es sollte einen eindeutigen Unterschied in deinem Verhalten geben, woran man den Zustand 'Ich bin verloren' von dem Zustand 'Ich weiß, was ich tue' unterscheiden kann. Ich persönlich sage einfach 'Hilfe, ich bin verloren' - das ist irgendwie langweilig, aber es funktioniert.

    Als 'flankierende Maßnahme' halt deine Augen offen für das, was angeboten wird. Erwarte nicht, dass dich jemand dich zu deiner Position eskortiert und dort einparkt. Du musst schon kooperativ und aufnahmefähig sein.

  4. Verwende Rettungsstrategien

    Es gibt ein paar einfache Tricks, die dir helfen können, deine Position wiederzufinden, auch wenn du keine Ahnung hast, was gerade geschehen ist:

    1. Such nach der Lücke.

      Wenn du der einzige Mann über Bord bist, gibt es normalerweise irgendwo in der Formation eine Lücke, die verdächtig nach deiner Abwesenheit aussieht..

    2. Beweg dich im Fluss

      Gute Caller neigen zu einer fließenden Choreographie. Wenn du dem Body flow folgst, hast du eine reelle Chance, dich ungefähr in die richtige Richtung zu bewegen.

    3. Sei flexibel (sei ein Girl, Head, Side und so weiter)

      Wenn du das Gefühl hast, nicht da zu sein, wo du hingehörst, nimm einfach deine neue Identtät an. Wer weiß, ob du nicht eine neue Herausforderung, einen 'Thrill' fürs Leben findest... Wenn der Square weiterläuft, hast du alle Chancen, das Problem bei einer späteren Gelegenheit zu reparieren.

    4. Beobachte den Opposite und Äquivalente

      Wenn du verwirrt bist, halte ein Auge auf deinen Opposite [Anmerkung des Übersetzers: Den Tänzer gleichen Geschlechts, der schräg gegenüber von dir angefangen hat]. Wenn auch er/sie nicht weiter weiß (oder dich beobachtet), such nach dem dir entsprechenden Tänzer in einem anderen Square. Verwende dies auf keinen Fall als Tanztechnik! Es ist eine reine Rettungsstrategie, nur für den Fall, dass du komplett verloren bist.

  5. Tanz weiter, denk nicht nach

    Wenn etwas passiert, das du nicht verstehst, warte mit dem Nachdenken bis der Tip vorüber ist. Drüber nachdenken und gleichzeitig weitertanzen wollen ist der sichere Tod - ich spreche aus bitterer eigener Erfahrung.

  6. Bedank dich

    Das scheint so offensichtlich, wird aber oft übersehen. Die Leute sollen wissen, dass ihre Hilfe willkommen war.

Ich bin mir absolut bewusst, dass dieser durchdachte und begründete Ansatz im Eifer des Gefechts schwierig durchzuhalten ist. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns nicht um das Ideal bemühen sollten. Wenn zum nächsten Mal jemand böse wird, dem du versucht hast zu helfen, frag dich einmal, woran du es hast fehlen lassen. Wenn du zum nächsten Mal nicht die gewünschte Hilfe bekommen hast, frag dich, ob du dies deutlich gemacht hast. So können wir uns gegenseitig helfen, eine neue Qualität in unserem Tanzspaß zu finden.

[Weitere Squaredance-relevante Artikel: www.dancing.scootback.de]
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