Helfen im Square

E-Mail von Clark Baker

Originaltext: www.tiac.net/~mabaker/helping.html
Version des Originals: 1997-04-16
Version der Übersetzung: 2007-07-01
Autor der Übersetzung: Martin Ingenhütt
MARTIN_INGENHUETT_AT_EUROPEAN_CALLERS_AND_TEACHERS_ASSOCIATION

 

[Anmerkung des Übersetzers: Dieser Text entstand ursprünglich als Antwort innerhalb einer Emailliste für Squaredance-Caller. Der Autor postete den Text dann - leicht überarbeitet - auf der entsprechenden Liste für Tänzer, ehe er ihn schließlich auf seiner Homepage veröffentlichte.]

Kaye hat in ihrer letzten Mail erzählt, wie sie mit dem Squaredance anfing; sie wies darauf hin, dass es mindestens drei Leute in einem Square braucht, um ihn zusammenbrechen zu lassen, und sie sprach über ältere Menschen, die langsamer tanzen, aber immer noch tanzen (und das ist sicher eine gute Sache), und sie endete folgendermaßen: 'Eine Anmerkung noch: Ich habe festgestellt, dass es eine große persönliche Herausforderung für mich sein kann, wenn ich mit einigen weniger erfahrenen Tänzern in einem Square bin, alles zu tun, damit der Square weiterläuft. Und ich muss gestehen, dass ich mit diesem Ansatz viel Spaß daran habe und das triumphierende Gefühl, etwas geschafft zu haben.'

Vor kurzem habe ich meine Kommentare zum Thema 'Helfen' in einem Square an die Email-Liste der Caller geschrieben, weil das Thema dort aufkam. Ich fände es schön, wenn die Leser der Tänzerliste auch darüber nachdächten. Ich habe sie ein wenig überarbeitet und die nützlichen Antworten, die ich bekam, eingearbeitet.

Unerbetene Hilfe während des Squaredances ist ein umfangreiches und vielschichtiges Thema. Lies diesen Satz noch einmal!

Der Nettogewinn vom Helfen im Square (also die Differenz von dem, was man davon hat abzüglich der Verluste durch Böswilligkeit und ungute Gefühle) ist möglicherweise nicht so groß wie man denkt.

Don Beck sagte einmal 'wer dir dankt, hat dich erwischt'. Hilfe sollte in einer Art gegeben werden, dass der Geholfene nicht weiß oder nicht merkt, dass ihm geholfen wird.

Einige Aspekte zum Nachdenken:

  1. Welches Tanzlevel wird gecallt? Vielleicht passt das Helfen (das oft als Schubsen ausgeführt und empfunden wird) besser zu Challenge als zu A1, A2, Mainstream oder Plus. In einigen Gegenden wird beim Tanzen in den C-Levels ganz klar erwartet, dass der Square zusammenarbeitet und mit aller Energie versucht, nicht zusammenzubrechen oder sich wieder zu erholen und weiterzulaufen. Es gibt möglicherweise Gegenden, wo nur Mainstream getanzt wird und kein Helfen notwendig ist oder es sogar als rüde empfunden wird.
  2. Wie sicher ist dein Square im Vergleich zum gecallten Level? Wenn der Square im Prinzip fähig sein sollte, das Level zu tanzen, dann dürfte Hilfe eigentlich nicht notwendig sein. Manchmal gibt es neue Tänzer, die ausdrücklich um Hilfe bitten. Erbetene Hilfe zu leisten ist etwas vollkommen anderes als ungebetene Hilfe.
  3. Hast du den Eindruck, dass die anderen Tänzer Hilfe brauchen? Können sie Hilfe annehmen? Manche Tänzer werden sehr verwirrt, wenn du sie herumschiebst oder gerade ausrichtest. Wenn du mich an eine andere Stelle schiebst als die, wo ich eigentlich hinwollte, dann weiß ich, dass mein inneres geistiges Squaremodell ein wenig Zeit braucht, bis es mit dem wirklichen wieder übereinstimmt.
  4. Manche Tänzer geben Hilfe durch viel Reden. Es ist sehr einfach, zu reden und dabei dem Caller zuzuhören (ich weiß das, weil ich mich schuldig bekenne, im Square zu oft zu reden). Es ist sehr schwer, zwei Leuten gleichzeitig zuzuhören. Also hilf nicht durch Reden.
    Kathy Godfry fügt hinzu, 'Ich glaube, es gibt eine Ausnahme. Manchmal kann ein einzelnes Wort oder zwei alles retten, wo kein Zeigen weiterhilft. Ich denke an Fälle, wo ein Tänzer sich offensichtlich verhört hat und den falschen Call richtig ausführt. Zum Beispiel kann ein 'Split!' oder 'Nicht Split!' der Schlüssel sein, damit ein Circulate den Square nicht zusammenbrechen lässt. Du musst es so sagen können, dass es nicht den nächsten Call stört. Und du kannst nachher immer behaupten, du hättest mit dir selbst geredet, um sicher zu sein, dass du keinen Fehler machst...'
  5. Manche Tänzer helfen durch Zeigen. Ich finde, das funktioniert gut. Trotzdem zeigst du ganz deutlich dem gesamten Square, dass du glaubst, ein bestimmter Tänzer brauche Hilfe.
    Kathy fügt hinzu: 'Du kannst in einer (hoffentlich) subtilen Weise helfen, indem du schon vorher (proaktiv) nach dem nächsten Tänzer suchst, mit dem du weitermachen sollst: Augenkontakt herstellen, nach Händen greifen, die wahrscheinlich gleich nach deinen suchen werden, ein leichtes Nicken als Antwort auf suchende Blicke ('Du bist es, mit dem ich jetzt den Pass Thru machen werde, nicht wahr?'). Vieles davon fällt in die Sparte guter Teamarbeit beim Tanzen und sollte nicht als Unterstellung aufgefasst werden, dass andere Squaremitglieder Hilfe brauchen. Auf der anderen Seite sollten Tänzer lernen, die Augen aufzuhalten und ihre Fühler auszustrecken, wenn sie kurzzeitig verloren oder verwirrt sind, so dass sie derartige Signale empfangen können. Egal wie gut du bist, eines Tages wirst auch du solche Signale brauchen.'
  6. Manche Tänzer helfen dem unberechenbaren Mittänzer sehr körperlich (durch Schieben, Ziehen, Stoßen, oder sogar durch das Greifen an die Schultern und Steuern). Es erfüllt sicher seinen Zweck, aber ich wette, dass sich mehr Leute dadurch angegriffen fühlen als du denkst; es sollte im Allgemeinen vermieden werden. Wäre es nicht praktisch, wenn Tänzer einen Henkel auf dem Rücken hätten, wo man sie anfassen und herumschieben könnte...?
    Kathy fügt hinzu (und verwendet dabei ein tolles Fremdwort 'abjuration', das ich nicht kenne...): 'Von Herzen möchte ich außerdem Clarks Verzicht auf das Herumschieben unterstützen. Ich kann mich nicht an einen einzigen Fall erinnern, wo das in einem Square geholfen hätte. Und bitte fang nicht gleich an, Leute 'auszuzählen' und in die Rippen zu stoßen, wenn sie nicht sofort losgehen! Ich muss da immer an den ungeduldigen Knallkopf hinter mir an der roten Ampel denken, der in dem Moment, wo es grün wird, sofort zu hupen anfängt - und die einzige Folge ist, dass ich sauer werde. Es gibt praktisch immer Zeit, Tänzer einen Augenblick nachdenken und selbst reagieren zu lassen, und das ist besser für alle Beteiligten.'
  7. Manche Tänzer helfen einfach dadurch, dass sie mit der Musik tanzen und im richtigen Moment an der richtigen Stelle sind. Das ist eine sehr gute Art zu helfen, denn genau das solltest du tun! Wenn ich verloren bin, warum sollen dann nicht sieben Tänzer weitertanzen und mich erstens merken lassen, dass ich verloren bin, und zweitens, mich selbst die sich bewegende freie Stelle finden lassen, wo ich hingehöre? Wenn der Square stark genug ist, finde ich es besser, wenn die anderen sieben Tänzer um das 'freie Elektron' herumtanzen.
  8. Don Beck wies mich einmal darauf hin, dass, wenn ein Square zwei Lines of Four haben sollte und eine Person verloren ist, aber alle anderen richtig ihren Part tanzen, für den Verlorenen der Square aussehen wird wie eine Reihe von vier und eine von drei Tänzern. Der Tänzer ist so vielleicht imstande, seinen richtigen Platz zu finden. Wenn aber der 'Helfer' damit beschäftigt ist, den verlorenen Tänzer einzufangen, sieht der Squre ganz anders aus. Jetzt muss man der verlorenen Person wirklich helfen, ihren Platz zu finden. Durch das Helfen haben wir den Bedarf an Hilfe erst geschaffen!
  9. Manche Tänzer helfen dadurch, dass sie dem Nachbartänzer einen leichten Schubs in die korrekte Richtung geben, wenn sie ihn loslassen. Ich finde dies verletzend, weil es mir sagt, dass der Helfer glaubt, ich brauchte Hilfe. Dies ist eins der Risiken des Helfens: Dem, dem geholfen wird, wird immer gleichzeitig signalisiert: 'Du brauchst Hilfe'.
    Manche Tänzer haben sich einen Tanzstil angewöhnt, der sie die Nachbartänzer wegstoßen lässt. Manchmal führt das Wegstoßen in die falsche Richtung und verwirrt Tänzer, die erwarten, dass jedes Schieben helfen soll. Mir fällt gerade das Beispiel nicht ein, aber ich nehme mal an, dass du weißt, wovon ich rede - ein Beispiel für schlechtes Styling, das du dir bitte nicht angewöhnen solltest.

Zeit für eine kleine Geschichte!

Beim Tanzen in einem Square hinten im Saal bei einem C2-Tanz in Long Island habe ich einmal vor einem Call ganz kurz gezögert. Niemand in meinem Square kannte mich. Sofort schob mich eine Dame in die richtige Richtung. Als - bei aller Bescheidenheit - guter C4-Tänzer und Caller war ich ein wenig überrascht. Bei der nächsten Gelegenheit zögerte ich wieder ein wenig und wurde wieder auf den richtigen Platz geschoben. Ich ließ mich von der Dame durch den ganzen Tip schieben... Ich hoffe, sie hatte genausoviel Spaß am Schieben wie ich daran, mit ihr zu spielen.

Zurück zum Ernst des Lebens...:

  1. Manche Squares sind derart schlecht, dass auch wenn du den ersten Fehler reparierst (sagen wir, in den ersten fünf Calls), sie sofort einen anderen Fehler machen und nie eine Folge hinkriegen. Es ist wichtig, einem solchen Square nicht zu helfen.
  2. Nach meiner Erfahrung können Leute, die sich das Helfen einmal angewöhnt haben, es nicht nach Belieben an- und ausschalten. Sie sind ständig im 'Helfermodus', ob es nun nötig ist oder nicht. Siehe Punkt 17 weiter unten.
  3. Leute, die helfen, sind nicht immer die besten Tänzer. Manche korrigieren den Square nach ihrer Vorstellung, wie er sein sollte, die aber tatsächlich falsch ist. Auch gute Helfer machen Fehler und 'reparieren' dann den ganzen Square, um ihre Fehler zu korrigieren. Jedesmal, wenn mir dies passiert, weiß ich, dass ich zuviel helfe.
  4. Wenn ich mit Anfängern tanze, versuche ich, meine Reaktionszeit zu verlangsamen und ihnen die Initiative zu überlassen, unser Paar in die richtige Richtung zu lenken. Das lässt mich merken, ob sie wissen, was sie tun. Zum Beispiel bei Wheel and Deal, Bend the Line oder Couples Circulate warte ich ab und schaue, ob sie anfangen, den Call richtig zu machen. Ich glaube, es gibt mehr Tänzer als wir denken, die sich durch starke Partner (Nachbarn) durch viele Calls hindurchziehen lassen. Sie sollten selbst von Anfang an die Calls lernen anstatt die Kunst zu entwickeln, zu folgen und durch den Square zu schwimmen.
    Es ist nicht Thema dieser ÜberlegungenLernen, ein guter oder gar großartiger Angel zu sein.
  5. Wenn alle Squares Helfer haben, die gut helfen, dann wird der Caller, der vielleicht einer der guten Caller ist, die genau auf dem Niveau des Floors callen, besser - lies: schwieriger - callen können. Dann müssen die Helfer entsprechend mehr helfen, und die Squares ohne Helfer brechen umso sicherer zusammen. - Das ist kein guter Kreislauf.
  6. Wenn du ein besserer Tänzer und Caller wirst, wirst du allmählich besser wissen, wer wo in einem Square stehen sollte. Wenn zwei Tänzer vertauscht sind, bist du vielleicht versucht, dieses Wissen zu verwenden, um die getauschten Tänzer zu 'reparieren'. Ich habe solche Versuche gesehen, die zum Zusammenbrechen des Squares geführt haben. Wenn nichts unternommen worden wäre, wäre der Square vielleicht zum Left Allemande mit zwei vertauschten Tänzern durchgekommen. Wenn ich einer der beiden bin, stelle ich sicher, dass ich Augenkontakt mit dem andern Tänzer habe, bevor ich versuche, zurückzutauschen. Beim ersten Aufeinandertreffen sage ich vielleicht einfach 'wir sind vertauscht'. Erst beim nächsten Mal versuche ich dann, zurückzutauschen.
  7. Ein wirklich guter Square-Reparierer weiß auch, wann Fehler geschehen dürfen. Squaredance ist eine sehr nachsichtige Beschäftigung. Wozu jemanden herumdrehen, wenn der nächste Call Tag the Line ist? Die zusätzliche Zeit zum Umdrehen kann den Square dazu bringen, das Tag the Line zu verpassen. Hättest du nichts getan, wäre alles durch das Tag the Line repariert worden! Was, wenn der nächste Call nicht Tag the Line ist, sondern Couples Circulate? OK - sieben von acht Tänzern kreisen in die gleiche Richtung, und der achte merkt das ohne großes Theater: Viele Fehler reparieren sich von selbst.
  8. Manche Leute, die die ganze Zeit helfen, beschweren sich darüber (vielleicht unter ihresgleichen, aber die Haltung scheint dennoch auch bei anderen Gelegenheiten durch): 'Ich wollte, ich könnte wenigstens einmal im Monat tanzen, ohne ständig alle durchziehen zu müssen.' - Eine solche negative Grundhaltung kann nicht zu etwas Gutem führen.
  9. Für einen leicht unterschiedlichen Standpunkt zum Thema 'Helfen' siehe den ausgezeichneten Artikel How May I Help (www.lynette.org /howhelp.html) von Barry Clasper [Anmerkung des Übersetzers: Auch dieser Aufsatz liegt hier in einer Übersetzung vor: www.dancing.scootback.de /howMayIHelp.html].
  10. Diese ganze Email konzentriert sich hauptsächlich auf das Mainstreamtanzen nach der Graduation. Meine fünfjährige Erfahrung im Contradance, bei dem neue Tänzer jeden Abend willkommen sind, und wo es keinen formalen Unterricht gibt, hat meinen Horizont zu Thema Helfen erweitert. Viel von dem Lernen, das beim Contradance geschieht, ist implizit, während vieles vom Lernen im Squaredanceunterricht explizit ist. Dem Anfänger beim Contradance wird viel geholfen, und er weiß, dass ihm geholfen wird. Dies ist in Ordnung.

Zusammenfassung

Wenn du alle erwähnten Vor- und Nachteile zusammenzählst, wirst du zu dem Ergebnis kommen, dass das Helfen im Square eine risikoreiche Sache ist: Auch wenn du weißt, dass du (als Helfer) damit mehr Spaß am Tanzen hast, täuschst du dich möglicherweise im Glauben, dass das auch für den anderen gilt, dem geholfen wird.

Das alles einmal dahingestellt: Ich wäre nicht imstande gewesen, diesen Artikel zu schreiben, wenn ich nicht viel Erfahrung darin hätte, im Square zu helfen. Solltest du je in meinem Square stehen und Hilfe wünschen, sag etwas. Wenn ich je unerwünscht helfe, nimm ich nach dem Tip zur Seite und sag es mir.

Kürzlich bildete sich bei einem Studentdance in Los Angeles ein Square an der Seite, der mal einen Mainstreamtip versuchen wollte, auch wenn sie noch nicht alle Calls kannten. Ich machte mit; sie fragten, ob ich Mainstream tanze. Als meine Partnerin und ich ja sagten, sagten sie, sie könnten noch nicht alle Calls und baten darum, sie 'durchzuziehen'. Wir hatten einen großartigen Tip, viel Lärm, jede Menge Bewegung, und hier und da entstand ein bisschen richtiges Tanzen. Wir gingen nach dem Tip ein paar Calls durch (Recycle, Tag the Line, Cloverleaf) und tanzten noch einen Mainstreamtip, der ebenfalls riesig Spaß gemacht hat. Ja - Squaredance sollte Spaß machen!

[Weitere Squaredance-relevante Artikel: www.dancing.scootback.de]
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